Odyssee zur praktischen Jagdprüfung des Kantons Aargau - TEIL 1
04:15 lese ich fluchend auf dem blau schimmernden Display, als ich mein Natel im Dunkeln um mich tastend auf dem Nachttischchen des Hotels in Bochum endlich finde. An Schlaf ist gar nicht mehr zu denken. Also taste ich nach dem Schalter des Nachtischlämpchens und fluche zum zweiten Mal gotteslästerlich, als mich stattdessen die Zimmerbeleuchtung gnadenlos blendet. Meinen „Sales Pitch“ durchlesen könnte ich. Ich hatte anhand des Prüfungsblatts eine Verkaufspräsentation in Textform vorbereitet, die ich nun schon seit Tagen versuchte, mir in den Kopf zu prügeln. Ich lese den Text halblaut vor mich hin und stoppe die Zeit: fünf Minuten. Das ist viel zu wenig, habe ich doch ein zwanzig Minuten Zeitfenster bei der Prüfung. Also nochmals, langsamer und mit mehr Fülltext: sieben Minuten, schon besser. Nochmals. Mit dem Durchlesen werde ich immer ruhiger und kann anschliessend doch noch eine halbe Stunde schlafen, von wilden Träumen durchsetzt. Rennend. Ohne ein Ziel je zu erreichen. Warum muss ich auch noch ausgerechnet am letzten Tag vor der praktischen Prüfung nach Bochum fliegen? Nun, es gibt auch ein Leben neben der Jägerei, das die Jägerei finanziert und die Familie noch dazu. Am Flughafen Düsseldorf stapelt sich eine riesige Menschen-Schlange vor dem Sicherheitscheck. Ewigkeiten später finde ich mich endlich im Flugzeug wieder. Die Flugbegleiterin schliesst die Flugzeugluke mit einer halben Stunde Verspätung. Jetzt aber schnell zurück nach Zürich. Die Gangway wird weggefahren. Das Flugzeug bewegt sich nicht. Der Pilot meldet sich mit schlechten Nachrichten. In Süddeutschland ist ein Flugradar ausgefallen, wir müssen zwei Stunden warten. Das reicht nie!
Rolf S., Leiter der Jagdschule, beruhigt mich am Telefon und verspricht, die Prüfer hinzuhalten. Die Tochter des Präsidenten der Prüfungskommission ist im gleichen Flugzeug, versucht er mich zu beruhigen. Meine Mitarbeitenden neben mir in der Sitzreihe spüren meine zunehmende Nervosität und verstecken sich hinter Flugzeugmagazinen und Katalogen für zollfreie Einkäufe im Flugzeug. Nervosität drückt bei mir auf die Blase. Ich schnalle mich los und prügle mich unsanft bis zur vorderen Toilette durch. Die enge Toilette verstärkt das Gefühl des Ausgeliefertseins noch. Durch die Wand höre ich die Piloten miteinander reden. Doch halt: die Stimme kenne ich doch?! Verschwommen entsteht ein Bild zu der Stimme. Zuversicht steigt hoch. Ein rettender Anhaltspunkt. Definitiv, eine bekannte Stimme! Hose hochziehen, Händewaschen, raus aus dieser Urin-Konserve. Vor der Cockpittüre fasse ich mir ein Herz und klopfe vorsichtig. Klopfe nochmals. Beim dritten Hämmern an die Türe steckt ein verärgerter Copilot seinen Kopf heraus. Hallo Roger!, schleudere ich ihm entgegen. Ah, Herr Professor, Sie fliegen nach Hause?, erwidert er mit deutlich aufhellender Miene. Nix Herr Professor, Jungjäger!, erkläre ich deutlich zu kurz und muss etwas weiter ausholen, bis er versteht, was auf dem Spiel steht. Roger, ich muss nach Zürich! Jetzt!, lege ich nochmals nach. Das wollen wir Alle, meint er resignierend und beschwichtigt mich kaum mit einem: ich versuch mein Bestes! Wir verabschieden uns und ich zapple wieder zurück an meinen Platz. Ich muss nach Zürich, jetzt! - Eine Sorge weniger. Oder doch nicht? Nach zehn Minuten haben wir uns noch keinen Millimeter bewegt; nach zwanzig Minuten auch nicht. Endlich, nach 22 Minuten rascheln die Lautsprecher und die bekannte Stimme des Copiloten meldet sich: Meine Damen und Herren ... blablabla ... im weiten Bogen über Paris in die Schweiz ... versuchen die Verspätung aufzuholen ... und der Jungjäger zur Prüfung soll sich in Zürich gefälligst beeilen ... - In der englischen Durchsage fehlt dann der Jungjäger Textteil. Wir landen viel zu spät in Zürich und ich jage den Audi im Tiefflug über die A1 in den Aargau. Schlussendlich bin ich eine Stunde zu früh an der Schiessanlage und sogar der erste Jungjäger, der zitternd vor Nervosität auf dem staubigen Parkplatz der Schiessanlage herumtigert. So kann ich mich wenigstens in Ruhe umziehen und noch ein Sandwich verdrücken. Einer nach dem Anderen erscheinen meine Kommilitonen und verbreiten ihre Nervosität in der staubigen Hoffnungslosigkeit des schlechten Gewissens. Habe ich mich wirklich intensiv genug vorbereitet? War es die richtige Entscheidung, schon nach zwei Monaten Jungjäger-Dasein die praktische Prüfung anzugehen? Und das, ohne je vorher Dienst an der Waffe absolviert zu haben? Mein Aggressionspegel steigt weiter und pumpt ungefragt Überdosen an Adrenalin durch meine verkalkten Venen.

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