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Erinnerung an mein schönstes Jagderlebnis (02.07.1960)
An einem strahlenden Augustnachmittag treibt mich die Unrast des zuhause weilenden Jägers ins Revier hinaus. Doch halt, da fällt mir ein, dass meine angelobte „Erika“ schon lange den Wunsch äußerte mich auf einen Pirschgang begleiten zu dürfen.
Wenige Minuten später, stehe ich vor ihrem väterlichen Hause und lade sie zum Abendansitz ein. – Nachdem ich die weiblichen Umkleidezeremonien kenne, rufe ich ihr ironisch zu: „Komm mir ja nicht im Minirock und den Highheels daher, du hast dir schließlich einen Jaga angelacht!“ – Doch schon gleich sind meine Gedanken wieder draußen im Revier und ich plane das weitere Vorgehen.
Vor einiger Zeit, berichtete mir mein Waidkamerad Hermann, dass er in der Zitzlerwiese einen guten Bock beim letzten Büchsenlicht, aus einem Getreidefeld in die angrenzende Kleewiese wechseln sah. Er sprach von flaschenhohen Stangen und fingerlangen Enden. „A narrischer Sechser, schau dass dn kriagst“ höre ich ihn noch sagen. Mein Entschluss ist gefasst: Heut gilt’s diesem kapitalen Unbekannten!
Inzwischen hat sich auch meine „Diana“ zünftig angekleidet und mit hoher Erwartung geht’s ins Revier.
Unter einem mächtigen Eichelüberhälter verblenden wir unser Gefährt und im Gänsemarsch geht’s in Richtung Bockeinstand. Leise fange ich an meiner Begleiterin die jagdlichen Verhaltungsmaßregeln einzutrichtern, wobei jedes zerknackende Ästchen unter ihren Schuhsohlen mein Jägerherz zusammenkrampfen lässt. Angeberisch flüstere ich, dass mir bis jetzt jedes begleitende Mädchen ein erfolgreiches Waidmannsheil gebracht hat. Lachend kommt die Retourkutsche: „Wart’s ab du Frauenheld, vielleicht klappt’s auch bei mir!“
Inzwischen liegen Kleewiese und Getreidefeld vor uns und lassen einen vielversprechenden Einstand erkennen. Jetzt beginnt das große Rätselraten – kein Hochsitz weit und breit! Nur Bodenansitz ist möglich, aber wo? Wie steht der Wind, gibt’s eine vernünftige Deckung? Eine schnelle Entscheidung ist gefragt. Da springt mir eine Haselnusshecke ins Auge, spontan suchen wir dort Deckung und lassen uns Rücken an Rücken auf dem blanken Boden nieder. Ich in Blickrichtung auf das besagte Getreidefeld, entgegengesetzt überwacht Erika das Kleefeld.
Letzte Ermahnungen flüstere ich hinter mich und schon zieht mich das Getreidefeld in seinen Bann. – Doch wie könnte es anders sein, die ersten Blutsauger, die riesigen Rossbremsen im Verein mit schwirrenden Staunzen (Stechmücken), suchen unseren Hautkontakt! Jetzt kommen die ersten Zweifel auf: Hält „Sie“ durch, kann ich ihr das zumuten? Ich bleibe hart, es gibt kein Zurück mehr. Am gegenüberliegenden Berggipfel taucht die untergehende Sonne das Ulrichsberger Kircherl in purpurenes Licht, ein leichter Windhauch streicht über die Wipfel unseres schönen Bayerwaldes. Es wird still, nur die Vögel singen sich in den Schlaf. Jeder Jäger kennt sie, die magische Stunde in der Dämmerung, genannt Uhlenflucht, wo die geringste Störung das Rehwild mit Vergrämung reagieren lässt.
Da trifft plötzlich ein spitzer Ellenbogen meine Rippen. „Oh Gott, wir sitzen mitten in einer Ameisenstraße“ haucht meine Holde. „Keine Bewegung“ flüstere ich zurück und beobachte gleichzeitig wie Kolonnen von großen Waldameisen in unsere Schuhe, Strümpfe und Kleider dringen. – „Heiliger Hubertus“, das hat gerade noch gefehlt. Mit knirschenden Zähnen lasse ich den ersten Ansturm über mich ergehen, unterbinde aber mit eisigem Schweigen jegliche Unterhaltung. – Da spüre ich schon wieder einen Rempler von meiner Angebeteten. „Schau dich endlich um du Superjäger, da herüben steht dein Bock“ flüstert es aschlings (niederbayer. Dialekt).
Kaum wage ich zu atmen, drehe den Kopf im Zeitlupentempo um fast 180 Grad. Mein Herz schlegelt wild, dort steht der Gesuchte! Sein Träger wächst förmlich aus dem schnittreifen Klee, aber scheinäsend sichert er laufend zu uns herüber. Im Zeitlupentempo ziehe ich die Büchsflinte an mich, aufgeregt tanzt das Fadenkreuz vor meinen Augen und etwas hastig fährt die Kugel aus dem Lauf. – Hubertus hab‘ Dank, der Bock liegt im Feuer.
Sehr bleich kauert meine Jungjägerin neben mir, vergessen sind die Bremsen, Staunzen und Ameisen. – Nach einem langen Kuss finde ich zur Wirklichkeit zurück. Mit großer Ungeduld und alle Jägerregeln missachtend laufe ich zur Anschussstelle. Im Äser noch einige Kleeblätter, das edle Geweih etwas nach hinten geneigt, so liegt mein Bock vor mir. Erst jetzt übermannt mich das Jagdfieber. Kniend betaste ich die edle Sechsertrophäe und fühle die starke Perlung an den weit ausladenden Stangen und kleinfingerlanger Vereckung. Tiefliegende starke Dachrosen nehmen alle Zweifel, es ist ein echter Erntebock! Da ist auch schon meine Erika und überreicht mir zunftgerecht einen Eichenbruch, den ich mit dem Gestreckten teile. Mit dem Signal „Reh tot“ aus dem Taschenjagdhorn geht dieser denkwürdige Jagdtag zu Ende.
Seit 59 Jahren hat die Trophäe des Zitzlerbockes einen Ehrenplatz in meinem Jagdzimmer und ich bin mir sicher, dass dieser gemeinsame Ansitz ein gutes Omen für unsere Ehe war. Meine liebe Erika hat bewundernswert Freud und Leid meiner Jagdpassion bis zu ihrem Tod vor 9 Jahren mitgetragen!
Dieses Jagderlebnis bewahre ich im Herzen, bis auch mich unser Schöpfer zum letzten HALALI ruft.
Dieses wunderschöne Jagderlebnis wurde im Namen von Herrn Arnold B. aus Deggendorf veröffentlicht.