Der Knopfbock
Bereits am 1. Mai hatte ich es kurz gesehen. Ein junger Sechser hatte das Stück vor sich her an meinem Sitz vorbeigetrieben. Auf den flüchtigen Blick eindeutig ein Schmalreh, wäre da nicht das unbestimmte Gefühl gewesen, dass da doch etwas Raues zwischen den Lauschern sein könnte. Der Jagdfreund auf dem Nachbarsitz sprach das Stück eindeutig als Schmalreh an, die in Schleswig-Holstein im Mai keine Jagdzeit haben.
Das Interesse war geweckt und der nächste Ansitz sah mich wieder auf der offenen Kanzel.
Es ist eh eine meiner Lieblingsplätze. Hinter dem Sitz ein wenig befahrener Bahndamm, davor eine weite Ebene die im vorderen Bereich Wiese ist, gekreuzt von einer breiten, dicht mit Schilf bestandenen Brache, an die sich Äcker anschließen, die von mit Schilf bestandenen Entwässerungsgräben durchzogen sind. Vor dem Sitz geht ein alter Wechsel, so dass der Platz auch immer gut für eine Sau ist. Im Winter können von hier gut und gerne 80 Hektar überblickt werden. Kein Ansitz, bei dem man nicht irgendwas ins Glas bekommen hätte, wären es auch “nur“ ein paar Enten oder Gänse, die Richtung Elbe fliegen.
Die folgenden Ansitze verliefen alle nahezu gleich: Irgendwann zu vorgerückter Stunde erschien der Knopfbock (denn um so einen hatte es sich gehandelt). Doch bevor er sich in dem mit den Wochen immer höher werdenden Gras auf Schussentfernung genährt hatte, war jedes Mal der junge Sechser erschienen und hatte ihn, ganz Platzbock, aus seinem Einstand vertrieben. Den hätte ich jedes Mal erlegen können. Wollte ich aber nicht, ich wollte den Knopfbock.
So vergingen etliche vergeblichen Abendansitze und ich musste mir bereits den Spott der Jagdfreunde gefallen lassen. Der gute gemeinte Rat: ich solle es doch mal Morgens versuchen.
Morgenansitze sind ja etwas sehr Schönes: das erste Erahnen der Dämmerung, das Verblassen des Mondes und langsame Hellerwerden, das erste Vogelgezwitscher. Ich liebe die erwachende Natur. Für mich als bekennender Langschläfer ist das frühe Aufstehen allerdings eine Quälerei.
Die leichtsinnig ausgesprochene Einladung zum Frühansitz vor einem Übungstag mit den Hunden zwang mich dann doch dazu: Eine Jagdfreundin nahm wider erwarten die Einladung an und so musste ich also Anfang August zu nachtschlafender Zeit raus.
Um 4 Uhr 30 und damit eigentlich schon reichlich spät bezog ich den Sitz. Nach gut 30 Minuten war es schon ausreichend hell, so dass ich mit dem 50 Jahre alten Butollo-Blatter meines Vaters mein Glück probierte. Nach der zweiten Serie erschien ein roter Fleck im hinteren Bereich der Wiese. Vorsichtiges Näherziehen, Verharren, weiter Vorrücken. Nach einer Ewigkeit dann die Gewissheit: es ist der gesuchte Knopfer! Er kommt langsam näher, äst hier und dort, wittert und schaut in Richtung der verheißungsvollen Töne. Ein kleines Stück noch, alles soll passen. Er stellt sich breit und auf den Schuss folgt eine kurze Flucht, dann ist er verschwunden. Und wie immer, wenn das Stück nicht in Sichtweite liegt: Ist es nicht doch noch ins Schilf gezogen? Hast Du richtig getroffen? Gut drauf warst Du doch? Ja, es kann nur liegen. Hat das bleifreie Geschoss richtig angesprochen? Man hört und liest ja viel schlechtes darüber…
Noch während ich diesen Gedanken nachhänge zieht, mal wieder, der junge Sechser scheibenbreit und keine 30 Schritte an der Kanzel vorbei. Er hat wohl auch den Blatter gehört.
Kaum ist er verschwunden bin ich runter vom Sitz und lasse den Hund am langen Riemen den Anschuss suchen. Wenige Augenblicke später stehe ich am Stück. Der Bock war noch knapp 50 m gegangen. Der Einschuss direkt hinters Blatt - der Bock hat den Knall des Schusses nicht mehr gehört.
Vielleicht werde ich nun doch wieder etwas häufiger auf Morgenansitz gehen.

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