Hege statt Trophäenjagd
Im Alter von drei Jahren durfte ich meinen Vater das erste Mal zum Ansitz begleiten und die Begeisterung,die ich damals dafür empfand, Tiere zu beobachten, die ist mir bis heute geblieben und treibt mich an das zu tun, was ich unter Jagd verstehe. Für uns als Familie stand die Hege immer an oberster Stelle und über viele Jahre zu beobachten, wie diese Früchte trägt ,erfreut mich und ist auch heute mein oberstes Ziel.
Das Töten von Tieren gehört natürlich zur verantwortungsvollen Hege, kostet mich aber immer wieder eine große Überwindung und steht mit ständigem Abwägen über die Sinnhaftigkeit im Zusammenhang.
Gerade zum Aufgang der Bockjagd steigt in mir auch die Vorfreude, aber nicht wie bei so vielen, endlich den brävsten Bock zu strecken,sondern die Früchte der harten Arbeit,die übers Jagdjahr anfällt,wieder in Anblick zu bekommen.
Am 2. Mai 2019 hatte ich dennoch ein Erlebnis, welches mich mit Stolz und Zufriedenheit erfüllt, meiner Pflicht als waidgerechter Jägerin,zu der mich mein Vater angeleitet hat,nachzukommen.Ich saß bei herrlicher Abendsonne auf einer satten Wiese an und genoss den Anblick mehrerer Stücke Rehwild.
Die Feldlerche saß auf der Kanzel und untermalte die wunderschöne friedliche Kulisse mit ihrem Gesang.Plötzlich kam mir ein noch unbekannter Bock in Anblick.Ein stattlicher Sechser,der nur an einer Stange einen Vordersproß trug,vom Wildbret her sehr stark erschien und deutlich über Lauscher hoch auf hatte.Ich beobachtete ihn sehr lange und schnell wurde klar,dass der Bock mit einem Lauf stark lahmte.Doch er verschwand in einer Schlehenhecke und ich machte mir Gedanken, wann ich am nächsten Tag wieder ansitzen könnte, um den Laufkranken in Anblick zu bekommen.
In der Zwischenzeit zogen mehrere starke Böcke auf die Wiese, erschienen aber immer wieder vorsichtig und warfen oft auf.
Und plötzlich stand er wieder da.
Wieder beobachtete ich ihn lange Zeit und nun wurde klar, dass er bereits jetzt schon von den gesunden Böcken getrieben wurde und die Flucht für ihn beschwerlich war.So verschwand er wieder im nächsten Waldstück. Mittlerweile waren mehrere trächtige Geißen ausgetreten,die sich am saftigen Grün gütlich taten.
Plötzlich warfen sie auf und direkt gegenüber von meinem Ansitz trat der besagte Bock wieder aus der Dickung. Zielstrebig zog er in meine Richtung und verhoffte direkt an einer Schlehenhecke 70 Meter vor mir. Aufgeregt überprüfte ich noch einmal-Rechtfertigt diese Verletzung einen so stattlichen Bock bereits am 2. Mai zu strecken, passt die Entfernung?
Nachdem ich meine innere Checkliste durchgegangen war, atmete ich tief durch und ließ die Kugel fliegen.
Im selben Moment warf der Bock auf,machte kehrt und nach einer Flucht von 15 m lag er im satten Grün.
Nachdem die anderen Stücke geflüchtet waren und ich 10 Minuten die letzte Ruhe vorbeistreichen ließ,holte ich meinen treuen Jagdbegleiter,der schon aufgeregt im Auto wartete. Gemeinsam traten wir an das Stück,gaben ihm den letzten Bissen und auch er freute sich über seinen Erfolg,das Stück gefunden zu haben.
Beim gemeinsamen Zusammensitzen am Abend war ich mit dem Abschuss dieses braven,aber leider laufkranken Bockes,mit mir im Reinen.Aufgrund der Laufverletzung, vermutlich durch einen Unfall, habe ich ihm wohl einige Strapazen vor der Blattzeit erspart.
Da ich persönlich nichts davon halte,die besten Böcke zu schießen,damit sie nicht der Nachbar bekommt,hatte ich bisher Knopfböcke oder Spießer erlegt,weil dies mein Verständnis von waidgerechter Hege darstellt.
Trotzdem freue ich mich nun besonders,diese Trophäe mit gutem Gewissen an der Wand zu verewigen.
Abschließend hoffe ich, dass der ein oder andere aufstrebende junge Jäger sich vielleicht einmal öfter Gedanken über einen Abschluss macht und die Kreatur nicht als Trophäe sieht, sondern den Auftrag,den wir Jäger zu erfüllen haben,richtig versteht.
Waidmannsheil und stets guten Anblick
Silvia Hartkopf
