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Jagderlebnis: Der Gobbler - Auf Trutwild im Rheinland

Der Gobbler - Auf Trutwild im Rheinland

von Sebastian J. aus Bornheim

Als ich mein Smartphone zur Seite lege, merke ich, dass ich ein wenig neben mir stehe und das Gespräch erst im nachhinein verarbeite.  Ich schaue aus dem Bürofenster in der Christophstraße aus der zweiten Etage und beobachte die Leute und Autos auf der Straße. Während draußen die Hipster, Geschäftsleute, Arbeiter und Mütter mit Kinderwagen dem Stadtleben in der Nähe des Doms nachgehen und sich innerlich schon auf die Karnevalssession 2019 vorbereiten, bin ich gedanklich gerade tief im Wald. Ich kann es noch nicht glauben und weiß nicht, ob ich mich freuen soll. Der Anruf kam völlig unerwartet. Vorher war ich gedanklich in eines meiner Projekte vertieft. Mittelgroße und größere Baustellen. Probleme in der Planung. Hohe Baukosten und zu lange  Bauzeiten. Mein Job – Die Probleme lösen und die Projekte steuern. Macht mir echt Spaß. Und nun? 

 

Mein Jagdfreund und Lehrprinz Josef hat mich soeben angerufen und hat mir ein sehr außergewöhnliches Geschenk angeboten: Mitte des letzten Jahrhunderts wurden versucht, im Kottenforst Wildtruthühner anzusiedeln. Die scheuen Großhühner stammen von der anderen Seite des großen Ozeans. Trotz der vermeintlich einfacheren Bedingungen in unseren Wäldern konnten sie sich nicht etablieren. Ich vermute, dass es neben dem Fuchs vielleicht auch am Schwarzwild liegt. Genau kann ich es nicht sagen. Auf jeden Fall gehört unser Revier zum Wildputenhegering. Dieser hat sich den Erhalt dieser stolzen Wildart zum Ziel gesetzt. Hierbei handelt es sich um ein anspruchsvolles und teils mühevolles Unterfangen. Um diese Wildart auch nutzen zu können, wird ein Hahn pro Jahr verlost. Josef hatte Glück und hat seinen Hahn vor mehreren Jahren erlegen dürfen. Ich mag es, wenn er seine Jagdgeschichten erzählt. Ich weiß aber auch, dass er jagen kann wie der Teufel selbst. Ich glaube, dass nicht viele Jäger an den Hahn herangekommen wären. Und nun hat er mir berichtet, dass er in diesem Jahr wieder das Los gezogen hat. Nun soll ich meinen Hahn erlegen. Ich fühle mich zutiefst geehrt und habe Sorge, dass ich das nicht schaffe. Wie oft muss ich in unserem Revier raus, um Anblick geschweige denn Erfolg zu haben? Ich mache das gerne. Ohne diese Herausforderung wäre es keine Jagd. Aber nun geht es darum, die Chance zwischen Mitte März und Ende April zu nutzen. Dann ist das Thema Trutwild vermutlich ein für alle Mal in meinem Jägerleben passé. Und großartig Urlaub kann ich nicht nehmen. Die Projekte laufen weiter. Die Bauwirtschaft boomt wie nie. Und zuhause erhalte ich die gelbe Karte, wenn ich für einen Hahn tageweise Urlaub opfere. Meine Frau und die beiden Mädchen machen ja schon viel mit mir mit.

 

Als mein Vater noch jagte und ich als Jägersohn noch nicht wusste, ob ich auch mal jagen oder lieber beim Angeln bleiben wolle, kam er an einen Wildtruthahn als Fallwild. Mein Vater hat diesen imposanten Hahn im Museum König in Bonn präparieren lassen. Da unser Dackel am Unfallort eine Feder vom Stoß herausgerupft hatte, musste diese von einem Museumspräparat ersetzt werden. So zumindest war die Legende in meinem Kopf. Der Hahn stand in seiner vollen Pracht ausgestopft in unserem Jagdzimmer und hat von da an das Feuer im Kamin bewacht. Anfangs war der große Vogel für mich sehr befremdlich, da ich noch nie einen in der freien Wildbahn zu Gesicht bekommen habe. Später dann war er für mich ganz normal. Er gehörte wie die Fähe, die beiden balgenden Jungfüchse, der kleine Frischling, die Möwe, der Falke, das Eichhörnchen, der Eichelhäher, der Dachs, der Iltis und die vielen anderen Präparate und Trophäen zu meiner Kindheit. Erst im Zuge des Jagscheins habe ich verstanden, dass es sich hierbei um eine bei uns seltene Wildart handelt. Hierdurch konnte ich endlich den Stolz verstehen, welcher mein Vater damals hatte, als er das Präparat an seinen Platz stellte.

 

Damals, etwa zum Zeitpunkt als Josef seinen Hahn erlegte, bekam ich ein paar Puten während der Rückfahrt vom Revier auf der B56 Höhe Witterschlick in Anblick. Imposant.

 

Mein Wissen über diese Wildart fühlt sich daher begrenz an. Im Vergleich zu anderen Jägern in Deutschland, die Wildtruthähne nur über die Jagdzeiten vom Jagdschein her kennen, bin ich natürlich etwas voraus. Einen Hahn erkennen und ansprechen müsste für mich kein Problem sein. Ich weiß aber auch, dass es bundesweit nur einen oder vielleicht zwei Abschüsse pro Jahr gibt. Und dieser Abschuss ist mir gerade unverhofft in den Schoss gefallen. So eine Bredouille. Bei einer solchen Ehre wäre es schlecht, wenn ich es nicht einmal schaffe, einen Hahn in Anblick zu bekommen. Und unser neues Haus ist zwar schön und für meinen Geschmack dezent jagdlich eingerichtet, aber wohin mit diesem großen Vogel, wenn ich es doch schaffe? Klar ist, dass ich sicherlich ein paar Urlaubstage herausschlagen kann.

 

Tage später bin ich in Josefs Werkstatt. Er instruiert mich und gibt mir ein paar Telefonnummern. Wir wollen uns gemeinsam ein wenig durch die Reviere des Hegerings telefonieren. Auf der Liste steht auch der Adel. Meine Gefühle mischen sich weiter. Sehr gerne würde ich beispielsweise bei von Boeselager jagen. Hier war mein Vater jahrelang Jagdaufseher. Unzählige Eindrücke meiner Kindheit sind seit dieser Zeit an das Revier gebunden. Vermutlich hätte ich ohne diese Eindrücke nie den Jagdschein gemacht. Aber damals ging die Jagdfreundschaft in die Brüche. Ohne Streit. Aus meiner damaligen kindlichen Sicht aber auch ohne wirklichen Grund. Irgendein Jägerthema. Ich kann es nicht mehr sagen. Ich beichte Josef, dass ich noch nicht weiß, was ich im Fall der Fälle mit der großen Trophäe machen soll. Schließlich musste ich die Schwarte meiner ersten Sau, die Bälge von zwei Füchsen und auch von meinem ersten Kanin aufgrund von Motten wegwerfen. Ein Mitbringsel aus unserer alten Kölner Wohnung. Mir geht es besser, da er meine Bedenken versteht. Soweit eine recht verworrene Ausgangslage.

 

Tage und Wochen vergehen. Ich genieße die Karnevalszeit mit meiner kleinen Familie. Telefonate und Textnachrichten wechseln sich vereinzelt ab. Wenn es nach Josef gehen würde, wäre ich zum Ende der Schonzeit nur noch im Wald. Leider wurde in keinem Revier ein passender Hahn bestätigt. Der Frühjahrssturm hat im Forst sein Unwesen getrieben. Das Wild verhält sich im Moment anders. Die alten Einstände gelten nicht mehr. In unserem Revier wechseln sich Stille und Sauen ab. Aufgrund des Windes und des Lichtes komme ich nicht heran. Jagdflaute. Ich bin weit entfernt von meinem Hahn. Um mich etwas bei Laune zu halten und auch etwas über das Verhalten der Truthähne zu lernen, besorge ich mir einen Jagdfilm aus Amerika. Die anwechselnden Hähne sind sehr beeindruckend und aufgrund des alten Präparates auch sehr vertraut. Ich weiß nicht, ob ich den Film interessant oder langweilig finden soll. Einerseits motiviert er mich. Ich habe wirklich Lust. Andererseits wiederholt sich das immer gleiche Schema: Ein Jäger schlüpft in seine Tarnkleidung und fährt mit seinem Quad durch die Weiten irgendwo im Hinterland. Nachdem er wie ein Indianer die Vögel bestätigt hat, zieht er sich zurück und stellt Lockvögel auf. Er setzt sich mit einer getarnten Flinte an den Stamm eines Baumes und kollert. Der Hahn wechselt natürlich an. Der Schütze gibt dem Kameramann noch etwas Zeit. Dann wird der Hahn erlegt. Die Trophäe wandert auf ein Truthahnbrett. Stoß und Bart des Vogels bilden hier den Schwerpunkt. Ganz anders, als unser Vollvogelpräparat. Nebenbei erfahre ich, dass es über den amerikanischen Kontinent verteilt mehrere Unterarten gibt. Damals im Bestand mehr oder weniger bedroht, gibt es heute keine Probleme mehr. Die Amerikaner haben eine nachhaltige Hegeleistung vollbracht. Die Jagd auf den Gobbler ist für viele Jäger ein Höhepunkt des Jagdjahres. Trotzdem langweilt mich der Film mit der Zeit. Aber mehr Anblick bekomme ich wohl auch nicht. Die Lockjagd schein mehr oder weniger anspruchsvoll zu sein. Wie soll ich das dann bitte ohne eine Chance, ohne Lockvogel und ohne Lockruf schaffen? Durch die Jagd auf Krähen und Tauben weiß ich, wie effektiv Lockvögel sein können. Ohne Lockvögel in unserm Revier ist eine erlegte Krähe Zufall. Und ich liebe es, eine Fuchs heranzumäuseln oder heran zu klagen, auch wenn es sicherlich nicht immer funktioniert. Und mit Schrot werde ich sicherlich nicht jagen dürfen. Ich werde meine .22 Hornet nehmen müssen. Aufgrund seiner besonderen Stellung gilt dem Trutwild sicherlich die Kugel. Ein deutscher Jäger wäre in seiner weidmännischen Ehre verletzt, würde er diesen stolzen Vogel wie Niederwild behandeln. Innerlich diskutiere ich über die nicht geschriebenen Gesetze der Weidgerechtigkeit und des jagdlichen Anstands. Für meinen Vater gäbe es hier nichts zu diskutieren. Aber ich habe auch bei Josef gelernt. Beute geht vor. Sollte es soweit kommen, dass ich in ein Revier darf, werde ich entscheiden, wie ich es immer mache: Natürlich nehme ich die Hornet. Ich habe sie Josef abgekauft und halte sie in Ehren. Ich könnte keine passendere Waffe wählen.

 

Im Revier Langen wurde ab und zu Trutwild bestätigt. Offenbar zur Reviergrenze von Boeselager hin. Da Herr Langen im Urlaub ist, treffe ich mich sonntags mit seinem Jagdaufseher auf dem Parkplatz an den Dützhöfen. Er fährt mit seinem schweren Geländewagen vor. Meine beiden kleinen Töchter und ich warten im Tiguan. Von hier aus fahre wir Richtung Breite Allee. Es geht immer tiefer in den Forst. Trotzdem ist mir der Wald vertraut. Ich bin hier groß geworden. Endlich bin ich wieder hier. Entlang an der tollen Baumallee, durch welche wir die letzten beiden Heilig Abende spaziert sind. Dann die Wiesen an den Liegenschaften der Polizei vorbeiführt. Deren Name wechselte mit der Zeit mehrfach: BICT, WIWEB, wie auch immer… Keine Ahnung, was das heißen sollte. Und keine Ahnung, was hinter den relativ gut gesicherten Zäunen passiert. Die Liegenschaften sehen zumindest verfallen aus. Unsere kleine Kolonne fährt weiter. Dann passieren wir einen Mann auf einen Fahrrad, welcher von einem Hund begleitet wird. Der Geländewagen bremst ab und bleibt stehen. Der Jagdaufseher klönt mit dem Mann. Sie schein sich zu kennen. Meine beiden Prinzessinnen fangen so langsam an zu rebellieren. Langweilig. Das Gespräch dauert an. Gefühlte Minuten vergehen. Von vorne fühle ich mich vergessen, von hinten gedrängt. Ich klemme fest. Ich spekuliere: Dreht sich das Gespräch um den unbekannten jungen Jäger, welcher im zweiten Fahrzeug sitzt und den Truthahn erlegen soll? Endlich geht es weiter. Nach einer kurzen Fahrt halten wir an. Ich helfe meinen Töchtern aus den Kindersitzen. Der März ist noch teilweise kalt. Ich habe den beiden keine warmen Jacken angezogen. Mit Vorwürfen im Kopf begrüße ich den widererwartend sehr netten Jagdaufseher Dirk. Während wir zur ersten interessanten Stelle gehen, durchmischt sich unser Gespräch: Kinder und Trutwild. Entlang des Pirschwegs erreichen wir den Hochsitz am „Blauen Eimer“. Allerdings ist die Tonne mit dem Kirrgut mittlerweile neu und grau. Egal. Dirk weist mich ein und berichtet davon, dass er hier auch schon Trutwild in Anblick bekommen hat. Allerdings mehr unverhofft. Wir machen uns auf den Rückweg und setzen unsere Fahrt fort. Nach einem kurzen Stück kommen wir am „Neuen Wildacker“ an. Gleiches Prozedere. Die Kirrung ist brandneu. Eine tolle Kanzel an einer Kante zwischen einem Fichtenbestand und ein paar Birken. Ein paar Hühnereier sind für den Fuchs gedacht. Auf dem Rückweg bekommen wir noch eine einzelne Gans auf der großen Wiese in Anblick. Meine Vorfreude konkretisiert sich. Ich werde die freie Zeit, welche mir nun zum Jagen bleibt, auf den Hahn konzentrieren. Josef hat hierfür hoffentlich Verständnis, dass ich nicht im Revier ansitzen werde. Noch wenige Tage bis zum ersten Versuch…

 

Mein Wecker geht am Donnerstag, den 28. März 2019 im Vergleich zu einem Ansitz auf Schalenwild zu einer recht humanen Zeit. Das Trutwild ist noch auf den Schlafbäumen und kann im Morgengrauen bei der einsetzenden Balz abgepasst werden. Ich habe den Vormittag Urlaub und stehe um fünf Uhr auf. Es geht lost zum „Neuen Wildacker“. Mein Bauch sagt mir, dass es hier erfolgsversprechender ist, als am „Blauen Eimer“. Ich lasse meinen Wagen dort stehen, wo Dirk es mir empfohlen hatte. Ich pirsche in Volltarn zur Kanzel. Meine Hornet bringe ich direkt in Anschlag. Wenn Trutwild in Anblick kommt, soll mich keine Bewegung verraten. Jetzt Stille. Erstmal herunterkommen von der Anfahrt. Meine Gedanken kreisen um die Jagd. Ich glase die Kirrung ab. Ebenso den Fichtenbestand. Direkt vor mit ist eine kleine Schneise. An deren Ende befindet sich das obligatorische Gebüsch, welches im Morgengrauen wie Wild aussieht, sich aber nicht bewegt. Dies habe ich immer. Eine entfernte Sau. Ein Hase. Ein Bock. Heute malt mir meine Phantasie mal zur Abwechslung einen Truthahn. Er äugt in meine Richtung. Mein Fernglas und meine Augen sagen mir, dass es sich um eine Brombeere handelt. Mein Kopf will es jedoch nicht wahr haben und will Anblick. Aber der anbrechende Morgen enttarnt schließlich den Brombeerhahn. Ich ertappe mich, dass ich müde und unkonzentriert werde. Meine Gedanken kreisen nun um die Arbeit. Ich beginne, innerlich dies und das zu diskutieren. Dann denke ich an meine kleine Familie. Die Geräusche eines Harvesters bringen meine Gedanken zurück in den Forst. Die Frühjahrsstürme haben einigen Schaden angerichtet. Ich mustere den Hochsitz. Eine tolle Kanzel. Akkurat gebaut und relativ neu. Mein Blick wandert auf meine Hornet. Eine Anschütz mit Sportglas. Das alte Glas habe ich demontieren lassen. Das neue Glas war ein Schnapper. Nikon. Bis 18-fach. Gekauft bei Frankonia in Köln. Mit ein wenig Begeisterung hierfür versuche ich die Langeweile zu vertreiben. Die Zeit verrinnt. Ich beobachte die Natur und genieße den Morgen. In meine Kopf rechne ich, wie lange ich brauche, wenn ich abbaume und aus den grünen Sachen raus will. Schließlich möchte ich pünktlich bei der Arbeit sein. Ich setze mir eine Deadline. Bis 11 Uhr bleibe ich sitzen. Ein Käfer vertreibt mir die Zeit. Beschämt stelle ich fest, dass ich keine Ahnung habe, wer mein sechsbeiniger Entertainer ist. Ich habe ihn bewusst noch nie gesehen. Meine persönliche Erstentdeckung. Ich glase nochmals das Waldpanorama ab und verabschiede mich vom Brombeerhahn und den Eiern. Ich vermeide es, mich auf der Kirrung umzuschauen und trete den Rückweg an. Ich möchte auf keiner Wildkamera verewigt werden. Und die hängt hier sicherlich. Ich habe sie nur nicht entdeckt. Auf dem Rückweg entdecke ich Dirks Wagen. Ich halte an und berichte. Auf dem späteren Heimweg telefoniere ich mit dem jungen Freiherr von Boeselager. Ein sehr höfliches Telefonat. Ich berichte, dass ich nächsten Mittwoch nochmal bei Langen raus möchte. Ich soll mich melden, wenn ich nichts sehe. Dann gehen wir am Donnerstag raus. Außerdem rufe ich Herrn Langen im Urlaub an und berichte kurz.

 

Und nun geht schon wieder diese verfluchte Wecker. Die Nacht war hart. Die Jüngste hat sich in der Nacht gemeldet. Mittwoch, 03. April 2019, wieder fünf Uhr. Gleiches Spiel. Gähnend fahre ich den Vorgebigsrücken hoch und verlasse Waldorf. Auf dem Feld sehe ich von Weitem eine unwirkliche Anzahl an Scheinwerfern. Eine endlos lange Kolonne scheint mir da in der Ferne entgegen zu kommen. Das mach überhaupt keinen Sinn. Was ist da los? Ich setze meine Fahrt fort. Im Feld steht eine Remise. Hier wohnt „mein“ Fasan. Ihn sehe ich fast immer, wenn ich hier vorbeikomme. Nur heute muss ich abbremsen und stehen bleiben. Ein LKW nach dem anderen kommt mir entgegen. Ich habe keine Chance und muss warten. Der Lichterwurm biegt links von mir ab. Kennzeichen aus Belgien und Osteuropa. Und das noch vor sechs. Völlig unwirklich. Was macht das für einen Sinn? Ich fahre weiter und komme am Parkplatz an, wo ich Dirk getroffen habe. Auch hier versperren mir mehrere LKW den Weg. Ein für die Uhrzeit quirliger Fahrer läuft auf dem Platz herum und spricht. Ich kann nicht raushören, ob er telefoniert oder mit jemandem schimpft. Auch die Sprache erkenne ich nicht. Er setzt sich in seinen LKW und fährt voran. Ein zweiter LKW folgt mir. Auf Höhe der Baumallee hält er. Ich komme nicht vorbei. Ich frage mich, was dieses Theater soll. Er wundert sich sicherlich auch über seinen Verfolger. Die Situation ist mir unwohl. Meine Hornet liegt unterladen griffbereit neben mir. Könnte kompliziert werden, wenn er sie sieht und sich bedroht fühlt. Sein Kollege hinter mir wird ihm sicherlich bei jeder Schandtat beistehen. Der Quirlige steigt aus. Wir diskutieren kurz. Er spricht Deutsch und will seinen Hänger abkoppeln. Ein kurzer rauer Ton wie am Bau. Die LKWs laden das Holz des Frühjahrssturms auf und verteilen es in ganz Europa. Holzramsch. Dann geht es weiter. Ich setze meinen Weg alleine fort. Und ab hier spult sich der letzte Ansitz erneut ab. Ich parke. Ich pirsche. Ich öffne die Kanzel, die Fenster, lege an, glase ab. In der Ferne begrüße ich den Brombeerhahn. Dieser äugt unverändert in meine Richtung. Dann setzt immer lauter werdend das Konzert der Vögel ein. Ich bin froh, dass ich das bewusst wahrnehme. Wer bekommt das schon mit? Und wir Jäger bekommen die Ouvertüre gratis. Wunderbar. Meine Handgriffe wiederholen sich. Ich glase den Fichtenbestand ab und phantasiere mir Trutwild zurecht. Wäre das toll, wenn ich jetzt Anblick hätte. Meine Gedanken wiederholen sich auch. Der namenlose Käfer hat seine Freunde mitgebracht. Kein Anblick. Kein Fuchs, kein Reh und keine Sau. Und erst recht kein Trutwild. Eine Freigabe für eine kleine Sau hätte ich. In mir kommt so langsam eine Ungeduld auf. Ich glase wieder den Fichtenbestand ab. Was war das für ein Geräusch? Hat da ein Hahn gekollert? Da wieder. Meine Anspannung schnellt in die Höhe. Und ich ärgere mich über mich selbst und mein schlechtes Gedächtnis: Ich habe den elendig langen Jagdfilm gesehen und habe mir nicht genau gemerkt, wie sich das Kollern des Trutwildes anhört. Das darf ich niemandem erzählen. Da wieder. Ganz weit entfernt. Was macht es für einen Sinn, hier auf gut Glück anzusitzen und zu hoffen, dass der Hahn zufällig bei mir anwechselt? Ich beschließe abzubaumen und so vorsichtig wie überhaupt möglich das Geräusch anzugehen. Das müsste doch möglich sein. Ich pirsche am Rande der Kirrung. Ob mich nun eine Kamera erfasst, interessiert mich im Moment nicht. Da wieder das Geräusch. Ich gehe einige Meter. Sehr langsam und so geräuschlos wie möglich. Aber das Unterholz ist gegen mein Vorhaben. Immer wieder bricht ein Ästchen unter meinen Füßen. Während ich vorsichtig das Gelände abglase, gestehe ich mir selber ein, dass dies doch keine gute Idee ist. Und ich bin ehrlich zu mir: Natürlich ist dies ein Specht. Zwar etwas ungewohnt schrill, aber trotzdem ein Specht. Vielleicht ist das Holz etwas trockener. Und ich wusste es die ganze Zeit. Ich baume wieder auf und ärgere mich über meine Ungeduld. Und ich ärgere mich darüber, dass ich die Situation nicht über jagdliches Können entscheiden kann. Abzubaumen war Quatsch. Hier hat die Passion vor der Vernunft gesiegt. Ich muss offenbar auf gut Glück abwarten. Egal ob hier oder woanders. Ein wenig später landet eine Taube auf der Kirrung. Ich ordne mir eine kleine Übung an und versuche meine Hornet in Anschlag zu bekommen. Sie steht rechts neben mir in der Ecke der Kanzel. Und ich versuche bewusst darauf zu achten, dass mich die Taube eräugen kann. Eine kleine Bewegung verrät mich. Sie streicht laut flatternd ab. Der Vormittag verfliegt. Wieder aus und vorbei. Auf der Rückfahrt telefoniere ich mit von Boeselager. Ich soll am nächsten Morgen um halb sechs am „Großen Stein“ sein.

 

In der Nacht auf den 04. April 2019 schlafe ich so, wie ich es immer vor der Jagd mache: Ich schlafe nicht so tief. Ich freue mich und bin aufgeregt. Die ganz Kleine meldet sich wieder in der Nacht. Meine Frau ist tapfer und kümmert sich um sie. Ich bin sehr dankbar. Dann wieder der Wecker. Aufstehen. Katzenwäsche. Anziehen. Ab ins Auto. Mit einem unfertigen kurzen Gedanken wird mir klar, dass ich das erste Mal in meinem Jägerleben im Revier von Boeselager jagen werde. Ich bin zu müde, um meine Gedanken auszuformulieren. Der Freiherr von Boeselager wird mich sicher nahe an einen Hochsitz bringen und mich kurz einweisen. Nett, dass er so früh für mich aufsteht, obwohl er mich nicht kennt.

 

Meine Autofahrt endet am „Großen Stein“. Wie so oft, kann ich mich nicht richtig an die Fahrt erinnern. Schlimm. Wie kann man sich nur so unterbewusst im Straßenverkehr bewegen. Dort steht auch schon ein kleinerer Wagen. Ich bin natürlich fünf Minuten vor der Zeit. Schließlich möchte ich mich nicht blamieren. Ich steige aus und freue mich, den Baron kennenzulernen. Allerdings steht dort eine Jägerin in den Mittvierzigern. Sie empfängt mich gutgelaunt und überschwänglich. Sie wird mich wohl einweisen, denke ich. Okay, der Adel schläft und schickt seine Jagdaufseherin. Es tut mir für Sie leid. Doch meine Spekulation bricht schnell zusammen: Ein zweiter Wagen nähert sich. Auch ein großer Geländewagen mit Ladefläche. Ford? VW? Ich bin ein wirklicher Fahrzeugidiot. Hat mich schon als Junge nicht interessiert. Ein wenig aufgeregt begrüße ich ihn. Ich soll meine Waffe mitnehmen und einsteigen. Wir ziehen heute zu dritt los. Die ganze Situation macht mich etwas verlegen. Josef schickt mich grundsätzlich immer alleine los. Schon beim ersten Bock war ich alleine. Es ist wirklich nicht nötig, dass ich begleitet werde. Die Dame sitzt in der Nähe. Im Dunkeln kann ich das Gesicht vom jungen Herrn von Boeselager nur schwer erkennen. Sein Gesicht erinnert mich wenig an die Züge seines Vaters. Er ist jagdlich elegant gekleidet. Im Dunkeln vermute ich Tweed statt Loden. Und ich sehe aus wie der letzte Krähenjäger in Volltarn. Ich trage lieber klassisch grün. Aber bei Federwild wechsele ich immer zu einem wilden Muster. Federwild hat auf jeder Feder ein Auge. Nach ein paar kurzen höflichen Worten wechselt das Gespräch sehr schnell zur Sache. Welches Kaliber ich habe. Ob ich weiß, wo ich bei einem Hahn abkommen soll. Und dass er mich auf den Hochsitz begleitet. Ich soll auf keinen Fall schießen, bevor er den Hahn nicht sauber angesprochen hat. Es soll auf jeden Fall ein reifer Hahn sein. Und es hätten schon ein oder mehrere Jagdgäste einen Hahn krank geschossen. Dieser ist dann abgeritten. Heimkehr ohne Beute. In der Balz richten die Hähne Ihr Federkleid soweit auf, dass man schnell zum Fehlschuss neigt. Für mich ist dies kein Problem, denn mein Bauch sagt mir, dass wir ja heute eh keinen Anblick haben werden. Oder mein Kopf redet die Situation klein. Ich kenne den Weg, den wir fahren. Kindheitserinnerungen. An der Gabelung hier hatte sich mein Vater vor über 30 Jahren mit seinem knallroten Renault R4 festgefahren. Ich war als kleiner Helfer dabei. Ein Landwirt musste uns rausziehen. Ohne Handy war dies noch ein echtes Abenteuer. Einigermaßen tief im Forst halten wir. Herr von Boeselager hält mich an, nahe hinter ihm zu bleiben, während wir die Kanzel angehen. Ich gehorche selbstverständlich. Doch dies ist nicht so leicht. Immer wieder falle ich ab, so dass er mahnend auf mich wartet. In Josefs Revier benötige ich mitunter Ewigkeiten, wenn ich die Schlafkanzel Stand angehe. Ich bleibe immer wieder nach wenigen Schritten stehen und glase mein Umfeld ab. Herr von Boeselager nicht. Oder ich bekomme es nicht richtig mit. Jedoch bewegt er sich sehr sicher. Trotzdem ist er eine Nuance lauter als ich es gewöhnlich wäre. Dafür ist er erstaunlich zügig. Für mich ist dies im Dunklen und im unbekannten Unterholz eine sehr schwierige Aufgabe. Unser Plan ist, relativ zügig aufzubaumen. Das Trutwild ist jetzt noch auf den Schlafbäumen. Wenn Sie zu nah sind und etwas von uns mitbekommen, sind sie weg. Und wir bekommen davon nichts mit. Aber vielleicht haben wir Glück und überraschen Sie bei der Balz. Endlich erreichen wir die Kanzel am „Dünstekovener Blech“. Er fragt mich, ob ich Rechtsschütze bin. Ja klar. Also gehe ich zuerst hoch. Seine Frage beeindruckt mich. Auf der Kanzel beginnt ein kurzes sehr höfliches leises Verhör seinerseits. Was ich beruflich mache, ob ich Kinder hab und dies und das. Meine Antworten quittiert er flüsternd mit „schön“. Ich tue mich immer schwer, im Privatleben jemandem meinen Job zu erklären. Meiner Mutter bekomme ich auch nur schwer erklärt, was Projektsteuerung ist. Wir beide lenken unser geflüstertes Gespräch auf die alten Zeiten, als mein Vater noch hier jagte. Es ist nun rund dreißig Jahre her. Ich berichte vom festgefahrenen R4. Und von der Burg Heimerzheim, bevor sie umgebaut wurde. Ich habe den Stall noch genau vor Augen. Ich berichte von dem Revierbuch, an welches ich mich erinnere. Flüsternd lachen wir, als wir über die alte Frettchenkiste reden. Unter heutigen Gesichtspunkten habe die alten Jäger schon unter recht harten Bedingungen die kleinen Jagdhelfer gehalten. Die alten Kindheitserinnerungen lassen das Eis in meinem Kopf brechen. Herr von Boeselager ist mir sehr sympathisch. 

 

Nun kommt als Stichwort das alte Backhaus vor der Burg ins Spiel. In einem Bruchteil eines Augenblicks habe ich ein verschwommenes aber auch teils sehr detailliertes Bild im Kopf: Nach der Jagd nahm mein Vater mich öfters mit in das alte Backhaus: Ein aus kindlicher Sicht uraltes Fachwerkhäuschen und den Hundezwingern auf der Rückseite. Hier hausten unsere überscharfen Deutschdrahthaar. Im Backhaus gab es ein offenes Feuer. Einen sehr rustikalen Tisch. Gesessen wurde auf Baumstumpfen. In meiner Erinnerung war der Innenraum nur durch Feuer beleuchtet. Also entweder war er fensterlos, oder wir waren hier immer erst spät abends. Der Geruch des offenen Feuers hat sich in meiner Erinnerung festgesetzt. Die alten Jäger saßen hier zusammen und haben ihre Erlebnisse ausgetauscht. Jägerlatein. Und wenn ich, dass kleine Jägersöhnchen mitdurfte, wurden die Böcke immer kapitaler und die Jagden heldenhafter. Ein rustikaler bodenständiger Ort, welcher in der heutigen Zeit undenkbar ist. Ich habe ihn verklärt und sehne mich nach ihm. Hier wurde kein Hochdeutsch geredet. Das Vorgebirgsplatt umrahmte mit seiner Derbheit die Stimmung. Ich bin zutiefst dankbar für dieses Stichwort. Ich habe das Gefühl, nun etwas wichtiges abgeschlossen zu haben. Nun habe ich alle mir wichtigen jagdliche Stationen aus den Leben meines Vaters auch hinter mir, nur mehr oder weniger in umgekehrter Reihenfolge: Das Revier Buschhoven von Josef, die Jagd mit dem besten Jagdfreund meines Vaters Herr Brandt in der Eifel (damals in Belgien), Bockjagd in Kärnten bei Gurk und nun eben das Revier von Boeselager in Heimerzheim.

 

Unsere kleine Unterhaltung füllt diesen Morgen auf einmal mit ganz viel Sinn. Mir ist klar, dass für einen Truthahnabschuss unwahrscheinlich viel Glück notwendig ist. Ich persönlich bin ehrlich zu mir: Das wird wohl nichts. Aber dieses kurze Kanzel-Gespräch markiert für mich einen sehr wichtigen Punkt: Ich habe jahrelang versucht, die Erlebnisse meines Vaters so nah wie möglich nachzuerleben. Durch seinen frühen Tod war es mir nie möglich, mit ihm gemeinsam zu jagen. Gemeinsam mit ihm Beute machen - ein Traum, der sich zumindest in meinem irdischen Leben nie erfüllen wird. Aber nun habe ich es geschafft, mir einen späten Überblick über sein Jagdleben zu verschaffen. Und dieser Gedanke erfüllt mich zutiefst, während ich neben Herrn von Boeselager sitze. Und ich merke, dass ich mich nun auf meine eigenen Jagderlebnisse konzentrieren sollte. Ich stelle mir bei der Jagd oft die Frage, was würde mein Vater zu dem und dem Thema sagen. Und in seinem Sinne versuche ich zu jagen. Weidgerecht nach Familientradition. Aber die Jagd entwickelt sich weiter. Daher finde ich heute nicht mehr alle Antworten auf neue Fragen…

 

Innerlich beende ich für mich die Trutwildjagd. Es ist unwahrscheinlich. Ich werde es nicht schaffen, einen Hahn in Anblick zu bekommen, auch wenn ich noch mehr Urlaubstage und Wochenenden opfere. Nicht aus Unfähigkeit, sondern einfach aufgrund der Gegebenheiten. Aber, ich beende die Jagd mit dem Gefühl von Erfüllung. Das frühe Aufstehen hat sich gelohnt.

 

Während der Forst nun den Morgen einläutet, legt Herr von Boeselager fest, dass das Trutwild in fünf Minuten mit dem Kollern beginnen wird, wenn es in der Nähe ist. Er hat einen Gehörschutz mit Geräuschverstärkung auf. Und er berichtet mir, dass er nicht mehr besonders gut hört. Vielleicht ein Zeichen von einiger jagdlicher Erfahrung. Normalerweise habe ich auch meinen Gehörschutz an. Meine .30-06 piepst mir sonst tagelang im Ohr, wenn ich einen einzelnen Schuss abgebe. Aber bei der Hornet verzichte ich gewöhnlich hierauf. Mir wird nun klar, weshalb er die Kanzel so angegangen hat.

 

Ich mustere den Wildacker vor uns: Wir sitzen quer, so dass man von der Längsseite Einsicht hat. Links von uns befindet sich ein Fichtenschlag. Hier sieht es wild aus. Und vor uns ist ebenfalls ein Schlag hinter dem Bestand zu erkennen. Die Reviergrenze zu Langen ist wohl nicht weit weg. Auf dem Wildacker waren augenscheinlich die Sauen. Aber von hier oben ist es schwer zu sagen, wann sie hier waren. 

 

Pünktlich beginnt das Kollern. Ein Hahn spielt sich ein. Meine morgendliche Entspannung steigert sich innerhalb eines Sekundenbruchteils in eine unbeschreibliche Anspannung. Mein ganzer Körper ist mit Adrenalin vollgepumpt. Jagdfieber. Ich will Beute machen. Meine Gedanken fokussieren sich. Wir glasen gemeinsam nach vorne ab. Nichts. Dann folgt ein weiteres Kollern. Die Entfernung kann ich schwer schätzen. Aber sehr weit war das nicht. Beim Abglasen muss ich meinen rechten Arm auflegen. Sonst tanzt das Fernglas. Ich versuche, mich zu beruhigen und mir nichts anmerken zu lassen. Aber die Truthahnbalz lässt mein Herz weiter rasen. Nur mühsam komme ich runter. Ein unbeschreibliches Naturschauspiel. Und dem reinen Naturbeobachter wird sich die derzeitige Aufführung ewig verschließen, es sei denn, er entscheidet sich irgendwann zur Jagd. 

Minuten vergehen. Immer wieder kollert der Hahn. Seine Entfernung scheint er jedoch nicht wesentlich zu ändern. Meine Hoffnung steigt, dass wir demnächst vielleicht wirklich Anblick haben. Ich plane für mich die nächsten Tage. Herr von Boeselager bittet mich, herauszuhören, ob noch eine zweite Stimme erkennbar ist. Wieder bin ich von seiner hochsensiblen Jagd beeindruckt. Gibt es dort einen zweiten Hahn, welcher sein Glück bei den Hennen versucht?

 

Nach einer Weile kommt ein Stück Rehwild in Anblick. Allerdings sehe ich es aus meinem Winkel heraus nicht. Ich kann mir nur von meinem Sitznachbarn berichten lassen. Ich fühle mich wie beim Theater: Mauerschau. Und ich fühle mich hierdurch unnütz. Ich habe keinen Anblick. Das Kollern geht weiter. Dann wechselt zwischen dem Bestand vor mir ein Hahn von rechts nach links. Innerhalb von Sekundenbruchteilen verschwindet er wieder im Holz. Meine Beruhigungsversuche brechen jäh zusammen. Diesmal berichte ich flüsternd vom Anblick. Ich soll jede hektische Bewegung vermeiden. Nun wieder nichts. Aber das Kollern geht weiter. Ich habe nicht nachgeschaut, aber seit über einer Stunde zieht es sich. Oder auch länger. Tief beeindruckt höre ich tatsächlich eine zweite Stimme heraus. Die Balz wird fortgesetzt.

 

Nun scheint er über den Gehörschutz auch die Hennen zu hören: Sie wechseln uns an. Ich traue mich nicht mehr, irgendeine Bewegung auszuführen. Meine Hornet ruht brav in der rechten vorderen Ecke der Kanzel. Und mein Fernglas hängt an meinem Hals. Ich realisiere, dass der Freiherr sich schon länger geduckt hat und sein Glas auf der Brüstung aufgelegt hat. Ich weiß nicht, ob er auch aufgeregt ist oder einfach gut vorbereitet sein will, wenn die Hennen kommen. Die Szene erinnert mich an meinen ersten Bock, den ich auf fast 200 Meter erlegt habe. Damals war ich auch derart im Jagdfieber, dass ich das Glas nicht sauber halten konnte. Ich habe mich auch so geduckt. 

 

Es kommen Hennen in Anblick. Jetzt bloß keine Bewegung sagt mir das Flüstern von der Seite. Ich hätte jetzt auch gerne mein Glas in der Hand. Ich bin bewegungslos. Meine Anspannung steigert sich. Einem Nichtjäger kann man dieses Gefühl nicht vermitteln. Vermutlich erleben Extremsportler etwas ähnliches. Aber es ist bei denen sicherlich nicht so extrem, dass Bewegungen versagen können. Ein Gefühl, welches die Gesellschaft verlernt hat. Es ist eine Mischung aus sehr starken Lampenfieber und dem plötzlichen instinktiven Trieb nach Beute. Jedenfalls geht es mir so. Mal mehr mal weniger. Jetzt mal eher viel mehr. Es kommen immer mehr Hennen. Da ich mein Glas nicht in der Hand habe, wiederholt sich etwas die vorherige geflüsterte Mauerschau. Falls es wirklich passen sollte, ermahne ich mich dazu, diesmal bewusst zu schießen. Bewusst  die Atmung zu kontrollieren und mich von meinem Herzschlag leiten lassen. Und mich vom Schuss überraschen zu lassen. Der perfekte Schuss. In der letzten Zeit habe ich mehr instinktiv geschossen. Und ich ermahne mich, den Hahn nicht krank zu schießen. Der Augenblick verlängert sich immer weiter. 

 

Mein Jagdführer flüstert mir zu, dass er einen Hahn in Anblick hat. Ich sehe ihn auch und mache die Salzsäule. Ich versuche mich zu beruhigen. Keine Bewegung! Auch er verharrt in Duckstellung hinter seinem Glas. Und er veratmet seine Anspannung. Erneut bin ich zutiefst beeindruckt von seiner Passion. Noch nie wurde ich sekundiert. Der Hahn ist reif. Er passt. Zusammen mit fünf sechs sieben Hennen wechselt er langsam an. Meine Anspannung steigt. Aber ich bekomme mich auch etwas beruhigt. Was nun folgt, fühlt sich wie Minuten an: Flüsternd dirigiert mich Herr von Boeselager in Anschlag. Durchs Glas passt er den Moment ab, wenn die Hennen abgelenkt scheinen. Ich greife zur Waffe. Stopp. Dann hebe ich sie an. Jetzt nicht. Ich halte sie in der Luft. Jetzt wieder. Dann Stopp. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis ich durchs Zielfernrohr sehe. Der Hahn ist noch da. Fast auf Schrotschussentfernung. Wir haben es geschafft. Freigabe. Alles passt. Der Hahn hat imposant seinen Stoß zum Fächer aufgerichtet. Er gleitet edel wie ein Schiff über den Waldboden. Die Hennen begleiten ihn.

Ein unausformulierter Gedanke ermahnt mich zum bewussten Schuss. Mein Kopf weiß, was er selber meint hat jedoch keine Zeit, die Worte denkend aneinander zu reihen. Meine Anspannung ist auf dem Höhepunkt. Neben mir höre ich weiteres Veratmen. Ich entsichere unterbewusst. Der Schuss bricht. Der Hahn zeichnet. Ich repetiere sofort und nehme ihn wieder auf. Er liegt am Boden, hält seinen Kopf jedoch hoch. Er äugt in unsere Richtung. Die Hennen sind weg. Anscheinend kann er nicht mehr abreiten. Wir beraten uns kurz. Dann bricht mein Fangschuss unter befreiten Jagdfieber. Ich repetiere wieder und nehme ihn wieder auf. Er hält den Kopf noch immer hoch. Beim dritten Schuss gebe ich mich vollends meinem Jagdfieber geschlagen. Ich denke, dass ich sauber abgekommen bin, aber das Absehen möchte nicht mehr stillhalten. Er lebt noch immer, scheint aber an seinen Platz gebunden zu sein. Ich schäme mich. Aber er wird bestimmt nicht mehr abreiten. Ich möchte nicht, dass dieser stolze Vogel weiter leidet. Und ich verstehe nicht, dass die Hornet ihn nicht bezwingen kann.

Herr von Boeselager fragt nach meinem Jagdmesser. Er hat keines. Ich soll wieder in Anschlag gehen und die vierte Kugel laden. Sobald der Hahn ein Anzeichen der Flucht macht, soll ich fliegen lassen. Er will ihn abfangen. Eine sehr mutige Entscheidung. Während er abbaumt, versuche ich das tanzende Absehen zu bändigen. Der Hahn hält den Kopf noch immer hoch. Zu meinen beiden Fangschüssen habe ich kein Vertrauen. Er umschlägt den Hahn in weitem Bogen und geht den Hahn in geduckter Stellung an. Dann erreicht er ihn. Ich sichere sofort. Nun fängt er ihn ab. Es dauert wieder gefühlt ewig, bis sich der Hahn nicht mehr bewegt.

 

Völlig neben mir baume ich ab. Mein Gobbler liegt. Ich kann es nicht fassen. Wir halten eine kurze Totenwacht. Wir nehmen uns ein wenig Zeit. Das Weidmannsheil fällt herzlich aus. Wir grinsen beide. Es fühlt sich für mich an, als hätten wir unverhofft eine Meisterschaft gewonnen. Unsere kleine persönliche Meisterschaft. Nur der Wald war stummer Zuschauer. Der Hahn erhält seinen Bruch. Ich ebenfalls. Als die Jägerin eintrifft haben wir bereits die ersten Fotos geschossen. Wir haben kurz nach acht.

 

Die heutige Jagd kann werden geplant noch gekauft werden. Ich kann mein Glück kaum begreifen. Herr von Boeselager meint scherzhaft, dass ich nicht weiß wieviel Glück ich gehabt habe. Ich denke schon. Dieses Erlebnis ist in seinen Augen sehr exklusiv. Hier stocke ich. Er hat einerseits vollkommen Recht, andererseits gehört exklusiv nicht zu meinem aktiven Wortschatz. Bis jetzt.

Wenn ich jetzt zurück an Josefs Anruf im Büro denke, kann ich mir nicht vorstellen, dass mein Erlebnis nur Zufall war. Ein kleiner Kreis hat sich geschlossen.

 

Als ich nach Hause komme, platze ich fast vor Stolz, als ich meiner großen Tochter eine Feder vom Hahn schenke. Sie verwahrt sie mit vielen anderen gesammelten „Schätzen“ in ihrem Regal auf. Aber mit ihren drei Jahren hat sie schon verstanden, worum es geht.

 

Den Hahn bringe ich in der nächsten Woche zum Präparator ins Museum König. Ich habe ja noch eine halben Urlaubstag offen. Ich kann in Ruhe mit meiner Frau frühstücken und dann wird der Hahn abgegeben. Es dauert sicherlich bis in den Herbst, wenn nicht sogar bis zum neuen Frühjahr, bis ich ihn wiederhabe.

 

Das Trutwild wird von nun an für immer einen besonderen Platz in meinem Jägerherz einnehmen.