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Erster Ansitz nach dem Schein
Erste Woche nach dem erfolgreichen Bestehen des Jagdkurses.
Voller Erwarten sitze ich im Bürgeramt und warte darauf, dass meine Nummer aufgerufen wird. Zuvor war ich zusammen mit einem Kameraden aus dem Kurs erst bei der Bank, dann beim Bäcker und zuletzt beim Fotografen um das schlechteste Lichtbild meines Lebens knpisen zu lassen. Es war vielleicht nicht die beste Idee das Foto am Tag, wenige Stunden nach der großen Abschlussfeier, machen zu lassen. Ein leichter Silberblick verrät noch immer jedem, der in meinen Jagdschein schaut, dass noch das ein oder andere Bier im Körper ist.
Nun sitzen wir also im Amt, Minute um Minute vergehen zäh wie das Kaugummi das unter dem Stuhl klebt und dann nach geschlagenen 100 Minuten endlich der Glockenschlag der uns zum Jäger machen soll.
Im Büro schnelle Abfertigung, ein nettes "Glückwunsch" vom Sachbearbeiter und schon habe ich ihn in der Hand. Den grünen Wisch der mir viele Tore öffnet. Aber ich spüre auch die Verantwortung die mit ihm einhergeht und so stecke ich ihn überglücklich aber auch demütig in seine neue Schutzhülle des DJV.
Einige Tage später. Ich bin bei einer befreundeten Jägerin eingeladen zum Ansitz. Wir schreiben den ersten Mai. Der Bock ist frei, einige andere Kreaturen liegen bereits, nun darf auch der Jungjäger ran und helfen. Wer hätte gedacht, dass man direkt mit einem Bock einsteigen darf.
Also geht es los. Der Wecker klingelt um 02:00 Uhr in der früh. Ich überdenke bereits meine Entscheidung Jäger geworden zu sein. Egal. Aufstehen, schnell einen Kaffee, warm Anziehen, ab ins Auto und rein ins Feld. Um 3:30 Uhr stehen wir vor dem Revier, ich bekomme eine Waffe überreicht. Als Jungjäger führe ich natürlich sofort eine lehrbuchreife Sicherheitsüberprüfung durch. Alles gut. Munition bekomme ich auch, ich bedanke mich und marschiere los.
Ich finde den Hochsitz ohne Schwierigkeiten dank genauer Einweisung. Wenige Augenblicke später befinde ich mich in drei Metern Höhe, balancierend auf einer Holzleiter und ruckele die verklemmte Tür auf. Schließlich sitze ich zum ersten Mal in meinem Leben auf einem echten Ansitz. Mit einer echten Büchse, mit echter Munition auf echte Lebewesen an. Was für ein Gefühl.
Ich packe leise meinen Rucksack aus, lege mir Fernglas, Gehörschutz und Decke bereit. Es sind 6°Celsius aber dank meiner dicken Kleidung spüre ich davon nicht viel. Noch nicht...
Ich öffne die Kanzelwände und habe nun einen 180° Blick auf das Feld vor mir. Hinter mir schläft das kleine Dorf noch seelenruhig und mir wird zum ersten Mal bewusst, dass Jagd genau die richtige Entscheidung war. In dieser Idylle, der absoluten Ruhe und gewollten Einsamkeit, ist man alleine mit den Tieren des Waldes. Nur ein Waldkauz ruft, sonst herrscht Ruhe.
Ich lade die Büchse, gehe in den Probeanschlag und stelle sie dann gesichert in die Ecke der Kanzel. In dieser Ruhe lehne ich mich zurück und warte.
Nach einiger Zeit schaue ich auf die Uhr und es ist bereits mehr als eine Stunde vergangen. Saß ich doch vor wenigen Tagen noch im Amt und wartete quälende Minuten, so verging hier die Wartezeit wie im Flug. Und so wundersam die Zeit scheinbar unterschiedlich schnell läuft, ist es auch kein Wunder, dass es nach gefühlt wenigen Augenblicken hell wird. Ich bin froh darum, denn der Wind bließ mir die Kälte auch in meine fünf Schichten Kleidung hinein und ob man will oder nicht wurde es ein wenig fröstelig.
Nun ist es also hell, ich sitze bereits seit über 1,5 Stunden und aus völliger Entspannung reisst es mich plötzlich in die Aufmerksamkeit als es im angrenzenden Waldstück zu rascheln beginnt. Und schlagartig ist die ganze Ruhe verschwunden. Stattdessen Anspannung und ein Herzschlag bis ins Ohr.
Ich richte mich auf, das Fernglas im Anschlag beobachte ich den Wald ohne etwas zu sehen. Minutenlang scanne ich den Waldrand und das angrenzende Feld ohne Ergebnis . Es raschelt und knistert immer wilder, ebenso mein Puls. Und dann wird es leiser und scheint fort zu sein.
Bedrückt lehne ich mich wieder zurück. Hatte mich das Jagdfieber sofort gepackt.
Nie habe ich in meinem Leben ein Tier verletzt oder gar getötet. Die obligatorische Kellerassel als Kind mal ausgenommen, weiß ich nicht wie es sich anfühlt den Finger krumm zu machen und für das Lebensende einer Kreatur verantwortlich zu sein. Ich habe mir viele Gedanken dazu gemacht. Ich finde jeder Fleischesser sollte sich darüber Gedanken machen und seinen ethischen Konsens herausfiltern. Seitdem ich weiß wieviel Arbeit es kostet um aus einem lebendigen Tier, eine Scheibe Salami hergestellt zu haben, gehe ich mit anderen Augen durch den Supermarkt. Das eigentliche "Töten" des Tieres ist dabei noch die kleinste Arbeit wie mir scheint, wenn auch die mit der größten Verantwortung und mit der größten moralischen Last.
Wer Fleisch will muss dafür ein Leben nehmen. Das weiß ich seitdem ich ein Kind bin und habe es immer akzeptiert. Diesen Schritt selber zu vollführen, das trauen sich jedoch die wenigsten zu. Ich denke das ist die Perversion unserer Gesellschaft. 24/7 Konsumgüter zu erwarten, sich eine Packung Salami aus dem Regal zu nehmen und zu essen, ohne einen Gedanken darüber zu verschwenden zu müssen, woher dieses Produkt kommt. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich liebe Fleisch und finde Fleischesser keinesfalls unkorrekt. Nur finde ich, dass man seinen Fleischkonsum nicht zelebrieren sollte, wenn man auch nur den Gedanken an dessen Herkunft nicht zulassen kann. Es geht um ein Lebewesen. Um dessen Verwertung. Und nicht nur einen sinnlosen Tod. Es geht um ein Produkt das wir genießen. Aus dem wir Kraft und Energie schöpfen und das wir feiern und zelebrieren dürfen. Das ist eine Ehre und keine Selbstverständlichkeit.
Ich möchte für mich herausfinden wie es ist. Ob ich es verantworten kann weiterhin Fleisch zu essen.
Genug davon.
In Wahrheit sitze ich immernoch in ziehender Kälte auf einem Stuhl in drei Metern Höhe und warte auf einen Bock.
Nach dem Knistern kam die Ruhe. Schließlich trat eine Kreatur in 100m Entfernung auf die Fläche. Es war eine Rikke. Hochtragend, das sah man auch von weitem. Also Finger lang und mit dem Fernglas beobachten.
Ganz fasziniert bestaunte ich dieses Wesen. Als Stadtmensch habe ich vor der Jagdschule nie großes Wild in freier Wildbahn gesehen.
Für mich ist auch ein Reh daher immernoch etwas ganz spannendes und fremdes.
Das spürt die Rikke scheinbar, denn sie steuert geradewegs auf mich zu. 80m.... 50m... 20... und plötzlich. Steht sie vor mir. Geht unter dem Hochsitz durch und bleibt in drei Metern Entfernung stehen um zu Äsen. Sie hat noch nicht einmal verhofft sondern bleibt ganz entspannt mehrere Minuten dort stehen. Ich wage es kaum zu atmen und doch beobachte ich diese wunderschöne Kreatur aus nächster Nähe.
Ein fantastischer Anblick.
Schließlich hat auch die Rehmutter keine Lust mehr und zieht weiter, zurück in ihren Wald.
Ich sehe an diesem Tag noch mehrere Hasen und einen Fuchs. Auch dieser überrascht mich durch seine Nähe, sodass mir ein Foto gelingt.
Es fällt auf, dass auf an der Lunte des Fuchses einiges an Haarkleid fehlt. Was ich auf einen Verbiss durch das Geheck fehldeutete, hätte auch gut ein Räudebefall sein können, wie ich später von einem erfahrenen Jäger erfahre.
Für meinen ersten Ansitz war mir dieser Abschuss aber zu riskant. Füchse haben schließlich aktuell keine Jagdzeit aber dafür schon gesetzt.
So lernt man aus jedem Ansitz und auch ich werde beim nächsten Mal genauer hinschauen.
Für dieses Mal ist es aber genug Anblick gewesen. Zwar habe ich keinen Bock vor die Büchse bekommen, ich steige dennoch glücklich von der Kanzel, das entladene Gewehr auf meinem Rücken und mache mich auf den Heimweg. Hier fühle ich mich wohl und ich werde wiederkommen. Und bestimmt auch irgendwann mit Jagderfolg. "Man lernt nie aus im Leben", hat meine Oma immer gesagt. Und im Jägerleben ist es nicht anders. Jeder Ansitz, jedes Treiben, jedes Gesrpäch mit anderen wird mich lehren.
Und ich freue mich drauf.
Waidmannsheil.